Verletzungen im Sport

 

Ich habe mir heute den ganzen Tag überlegt, ob ich dieses Thema wirklich im Blog und auf Instagram ausbreiten möchte. Nicht weil ich mich schäme oder so, sondern einfach weil ich nicht nach der Devise „Everything is content“ Inhalte erstellen möchte. Aber letztlich denke ich doch, dass es gut ist auch mit Verletzungen und der eigenen Dummheit offen umzugehen. Denn ja, darum geht es hier vor allem: Um die eigene Dummheit, darum nicht auf sein Bauchgefühl zu hören und Sicherheitsaspekte außer Acht zu lassen, weil man es vermeintlich besser weiß, weil man erfahren ist und weil man seine Hunde kennt.

Um das mal direkt vorweg zu nehmen: Sich zu sehr in Sicherheit zu wiegen und nicht auf sein eigenes Bauchgefühl zu hören kann einem am Ende ganz schön übel gespiegelt werden. Eine Lektion die ich heute gelernt habe und so schnell nicht wieder vergessen werde. Ein bisschen weiter unten werdet ihr auch ein Bild ohne Verband sehen, wer also kein Blut sehen kann, sollte diesen Beitrag nicht lesen, aber ich finde es gehört dazu auch sowas zu zeigen.

Die Vorgeschichte

 

Im Prinzip müssen wir bei den Grundlagen anfangen: Wir versuchen unsere Saison mit dem Trainingswagen so lange zu ziehen wie nur irgendwie möglich. Dabei sind +15 Grad Celsius beziehungsweise eine hohe relative Luftfeuchtigkeit unsere Grenzen um die Hunde nicht zu überlasten. Manchmal stoppen wir unser Training schon bei circa 11 Grad, manchmal erst bei 16. Das hängt gerade bei uns im regnerisch-feuchten Bergischen Land eben vor allem an der gemessenen relativen Luftfeuchtigkeit und an der Intensität der Sonne. Aber jeden Morgen stehen wir auf und schauen als erstes auf unsere Wetterstation.

Heute Morgen war es dann endlich wieder 12 Grad Celsius und durch die dichte Wolkendecke herrschten wunderbare Trainingsbedingungen. Also schnell einen Kaffee und schnell raus. Schnell den Wagen fertig machen und die Hunde einspannen. Schon beim Überlegen der Teamzusammensetzung, die wir immer auf die momentane Dynamik im Team anpassen hatten wir beide irgendwie bedenken: Sollten wirklich die zwei pubertierenden Jungs gemeinsam laufen? Sollten wirklich alle unsere Weibchen (die alle läufig sind beziehungsweise kurz davor stehen) im Team mitlaufen? Aber irgendwie haben wir beide nicht viel darüber geredet, es sollte ja schnell gehen.

Inzwischen sind Steffi und ich wirklich ein eingespieltes Team und die Routinen funktionieren ohne viel Gerede. Ein Vorteil in so ziemlich jeder Situation, aber wenn dann beide zwar ein komisches Gefühl bei der Teamzusammenstellung haben, diese Bedenken aber nicht äußern weil jeder denkt der andere weiß es schon besser, gehen eben Dinge schief. Darüber hinaus haben wir den Grundsatz, dass derjenige der von uns fährt sein Team zusammenstellt. Wenn Steffi also fährt überlegt sie sich ihr Team und heute war eben ich an der Reihe. 

Das hat auch den Vorteil, dass jeder von uns „seine“ Leader so einsetzten kann wie er beziehungsweise sie am besten findet, denn es gibt durchaus Hunde in unserem Pack die einen besseren Bezug zu Steffi oder mir haben.

 

Aber auch hier wieder: Als Menschen die dieses Leben und diesen Sport nun schon seit einigen Jahren betreiben, scheinen viele Dinge auf einmal zu normal, zu sicher. Und dann ist da das Ding mit der Leine.

Das Ding mit der Leine

 

Ich weiß nicht wie oft ich das sage aber: Savety first. Always. Es gibt keine Entschuldigung dafür, Sicherheitsequipment nicht mitgenommen zu haben wenn es zu einer Notlage kommt. Das Problem: Bei Notlage denkt man oft an einen Blizzard im Fjell und nicht an die Feldrunde Zuhause.

Und Notfallequipment ist eben nicht nur der Sturmkocher oder die Signalleuchte, sondern ganz einfach auch eine extra Leine. Und oft genug nehme ich die nicht mehr mit. Warum auch? Unsere Hunde können alle im Freilauf laufen, bleiben mehr oder weniger im Umkreis und kommen immer wieder. Sie orientieren sich an uns und im Notfall löse ich einfach alle Leinen und fertig.

Heute nicht. Denn eine Leine ist nicht nur da um Hunde nach Hause zu führen, sie kann eben auch dazu da sein, das Gespann zu strecken und zu sichern.

Also:

What the fuck happend?

 

Kurz nachdem wir alle Hunde angeleint hatten (Jungs zusammen, die läufigen Hündinnen davor und dahinter) startete ich los. Schon einige Meter nach dem Start grummelten, knurrten und schnappten die beiden Brüder Narvik und Sherpa. Ein kurzes scharfes Rufen meinerseits brachte Disziplin ins Team. Ich konnte mir also auf die Schulter klopfen: „Da müssen die nun durch“ dachte ich mir.

Wenige Meter weiter wiederholte sich das Knurren und Schnappen und mein mulmiges Bauchgefühl wich einer relativen Sicherheit: Die seit Tagen angestaute Spannung zwischen den beiden würde sich entladen. Und dann fiel es mir direkt ein. Ich hatte eben keine Leine, keinerlei Sicherheit dabei. Also war meine einzige Chance, den Wagen anzuhalten und den beiden Jungs sehr bestimmt zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben. 

Kurz darauf hielt ich an und keine Sekunde später, als der Zug der Leine wich, stürzten sich die beiden aufeinander. Lautes Gebell, ich rufe, Steffi kommt angerannt. Das Team ist ohne Spannung nach vorne und unsere noch recht unerfahrene Leithündin Lykke dreht sich um mal zu schauen was da hinten los ist, während ich das tue was ich gelernt und oft schon mit Erfolg eingesetzt habe: Ein gezielter, leichter Tritt gegen die sich verbissenen Rüden in Höhe des Mauls. Stark genug um die beiden zu trennen, schwach genug um niemanden zu verletzten. Tatsächlich hören die Zwei kurz auf. Aber da die Spannung nach vorne fehlt, geht die Beißerei wieder los.

Meine einzige Möglichkeit  ist absolut gefährlich wie ich weiß: Ich stürze mich ebenfalls zwischen die Hunde, trenne die beiden dadurch, halte einen Hund mit den Armen, den anderen mit den Füßen umklammert und strecke mich aus. So liege ich in der Mitte, wende alle meine Kraft auf und brülle die Zwei an. 

Inzwischen sind Nachbarn aus ihren Häusern gekommen, schauen schockiert zu und fragen ob sie helfen können. „Nein, nein, alles okay“ keuche ich. Unerfahrene Hilfe kann ich nicht gebrauchen weil ich weiß wie gefährlich die Situation ist. Steffi ist inzwischen angekommen. Im gleichen Moment schlüpft Shuri aus ihrem zu lockeren Halsband und springt über mich auf Lykke: Die Zwei hatten schon seit einiger Zeit Spannungen aufgebaut und die Läufigkeit ist oft ein enormer Treiber solcher ungesunder Dynamiken. Von all dem Adrenalin aufgeputscht zwickt dann auch noch Frodo, der friedlichste Hund den wir haben in Sherpas Po.

Als dieser sich daraufhin umdreht verlässt mich kurz die Kraft und Narvik springt ebenfalls über mich um die offene Rechnung mit Sherpa zu begleichen. Steffi sucht in der Zeit nach einer Möglichkeit die Hunde zu trennen, löst verschiedene Leinen und befreit damit die Hunde aus dem Team, während sie versucht Frodo der mit Lykke im Team ist nach vorne zu ziehen um so wieder Ordnung in das Leinen Wirrwarr zum bekommen.

Die Aufteilung in so einer Situation ist klar: Einer muss sich um die übergeordnete Ordnung kümmern, der andere muss versuchen die Hunde zu trennen.

Leider gibt es kaum Möglichkeiten die Hunde ohne extra Leine zu befestigen. So bleibt Steffi nur, die Leader Lykke und Frodo weit nach vorne zu ziehen und mir bei der „Arbeit“ zu zu schauen. Dabei schlüpft aber auch Lykke aus ihrem Halsband und steht verwirrt herum. Sie will nicht kämpfen, sie ist nur verwirrt.

 

Irgendwann kann sich Sherpa befreien und läuft weg. „Der kommt wieder“ höre ich Steffi rufen, „Kümmer dich um die anderen“. Inzwischen liege ich völlig erschöpft am Boden, Narvik im Klammergriff und Shuri die immer wieder nach vorne schnellt und Lykke attackiert. 

Wenn Rüden sich beißen ist es oft so, dass sie einen Streit klären und gut ist. Oft keine tieferen Verletzungen und nur wenig Blut. Weibchen sind anders. Bei Weibchen gilt: Attack to kill. Und das ist keine Übertreibung. Shuri setzt also immer wieder zu und Lykke sieht den schweren Hund nicht kommen. Kaum hat Shuri Lykkes Ohr, reißt sie an diesem. Ich höre den kleinen Hund quicken und mache das, was man absolut niemals, NIEMALS macht: Ich packe in das Maul von Shuri und ziehe es auseinander, während ich versuche mich aufzurichten. 

Ich höre ein Ratschen: Fleisch reißt auf

 

Tatsächlich bekomme ich die beiden so getrennt, höre aber ein Reißen. Das Geräusch von reißendem Fleisch ist ziemlich prägnant und sofort läuft mir Blut auf die Arme. Ich spüre das Adrenalin in mir, meine Beine zittern. Und doch habe ich nun endlich die Hunde getrennt. Steffi ruft mir zu „Bring Shuri weg, mach schnell“

Vielleicht haben wir nur Minuten in denen sich die Streitparteien sammeln aber auf einmal scheint es ruhig. Ich versuche zu Rennen, aber tatsächlich wanke ich viel mehr zurück zu unserem nur wenige Meter entfernten Haus, bringe Shuri in Sicherheit. Dann sammeln wir langsam alle anderen Hunde zusammen. Irgendwann schaue ich auf meine Hände die schon jetzt dick geschwollen sind und sehe die Kuppe meines Finger herunterhängen.

Mir ist sofort klar, dass das nicht mit einem Pflaster zu heilen ist und nachdem alle Hunde in Sicherheit sind und auf erste Schäden gecheckt (natürlich hatte kein Hund wirklich schlimme Verletzungen) mache ich Steffi auf meine Finger aufmerksam.

 

Schnell ist klar, dass wir ins Krankenhaus müssen. Ich wickele meinen Finger also in ein Handtuch und wir fahren in die Notaufnahme in der dann alles sehr schnell geht. Aber seht selbst:

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Diagnose: Zirkulär abgelöste Fingerkuppe mit offenem Knochenglied D2

 

Ich erspare euch das ganze Weitere. Nur kurz: Die scharfen Hundezähne haben mir die Kuppe quasi abgebissen und ein Stück Knochen abgeschabt. Beim Röntgen nach der Wundversorgung wird klar, dass keine größeren Schäden am Knochen zu finden sind, der Finger nicht gebrochen ist und die Kuppe eventuell sogar wieder verheilt. wichtige Nerven sind nicht getroffen, ich spüre sogar das Nähen und Ausschaben der Wunde.

Der Arzt rechnet mit einem Heilprozess von circa 2 Monaten, eine enge chirurgische Begleitung vorausgesetzt. Nach meinem Schulterabriss vor einigen Jahren den ich mir beim Sturz von einem Scooter zugezogen habe, ist dies die nächste große Verletzung.

Was das für euch bedeuten kann

 

Ganz einfach: Denkt an die kleinen Dinge. Denkt an die Details und fühlt euch nicht zu sicher. Warum sollte man ins Fjell kiloweise notwendiger Schutzausrüstung mitnehmen, Zuhause aber simple Kleinigkeiten wie eine Leine oder ein Messer (für das schnelle Durchschneiden von Leinen) weglassen? Warum zieht man die Halsbänder nicht enger, so wie man es auch bei einem Rennen machen würde? Warum hört man nicht auf sein Bauchgefühl? Wir kennen unsere Hunde in und auswendig. Wir können sie deuten und ihre Stimmungen lesen und vertrauen dann nicht darauf? Das ist hochmütig und dumm. Ganz ehrlich: Die Hunde haben nichts falsch gemacht. Sie folgen ihren Instinkten und Hormonen. Wir sind aber die Leader eines Teams und das bedeutet eben weiter zu denken. 

Wir müssen wissen welchen Hund man zuhause lässt, wieviele Leinen man mitnimmt und auch: Wann wir einfach nicht mehr fahren. Das gilt für jede Situation, egal ob Training, Expedition oder Rennen: Die Hunde bestimmen durch ihr Verhalten die Intensität und die Dauer des Trainings, weil wir Menschen die Aufgabe haben diese Dinge zu sehen und entsprechend zu handeln.

Den Hunden geht es übrigens wieder gut: Sie spielen im Garten und flirten sich an. Der Schlüssel ist, die Hunde nach solchen Situationen direkt wieder in einer gesicherten und ruhigen Atmosphäre zusammen zu bringen. Aber dazu später mal mehr.

Was bleibt ist: Ich bin dankbar weil den Hunden nichts Schlimmeres passiert ist. Und nachdem ich nun mein Blut aus den Klamotten gewaschen habe schaue ich mir meinen Verband an der nun meine linke Hand einhüllt und weiß: Heute wurde ich an wichtige Dinge erinnert.

-Willem 

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